Wohnen ist „Seelenfutter“

Kennen Sie das? Sie kommen in einen Raum und fühlen sich wohl. Oder umgekehrt: Sie kommen in einen Raum und möchten sich umdrehen und direkt wieder rausgehen. Doch die wenigsten Menschen können spontan sagen, woran das liegt. Wohnpsychologinnen und Wohnpsychologen beschäftigen sich damit, wie eng das persönliche Wohlbefinden und sogar die Lebensgestaltung mit der Wohnumgebung zusammenhängen.

Wenn wir einen Raum betreten, nehmen wir ihn (meist unbewusst) mit allen Sinnen wahr. Ist er hell oder dunkel, wie riecht der Raum, welche Geräusche erreichen die Ohren, fühle ich mich sicher oder eher verloren. Die Atmosphäre eines Raumes löst Gefühle in uns aus. Und wir bewerten unbewusst. Eine vertäfelte Holzdecke kann uns an das elterliche Wohnzimmer erinnern, in dem wir als Kinder nur störten – oder an das gemütliche Spielzimmer im Spitzboden, in dem wir viele glückliche Stunden verbracht haben. Unser Gehirn stellt diese Verbindungen her und löst damit positive oder abwehrende Gefühle aus. Insbesondere die ersten sechs Lebensjahre prägen das Gefühl, in welchen Umgebungen wir uns später wohlfühlen und in welchen nicht.

In der Bedürfnishierarchie von Abraham Maslow stehen die körperlichen Bedürfnisse nach Schutz, Wärme, Licht, Ruhe, Erholung und Schlaf an der Basis. In den Stufen darüber sind es psychische Bedürfnisse; nach Geborgenheit, Kommunikation, Privatheit und Rückzug, nach Anerkennung und sozialem Status und nach Selbstentfaltung. Die ideale Wohnung oder das ideale Haus soll möglichst all diese Bedürfnisse erfüllen. Doch in der Architektur vieler Wohnungen und Häuser wird auf diese grundlegenden Bedürfnisse kaum geachtet.

So kommt es, das vor etlichen schicken bodentiefen Fenstern – die doch eigentlich viel Licht hereinlassen sollen – dicke Gardinen oder Plissees angebracht werden, die Rollläden ständig heruntergelassen sind, oder die Rückseite des Sofas das halbe Fenster verdeckt. Warum? Die visuelle Privatheit wird empfindlich gestört. Ich bin immer unter Beobachtung. Auch der Grundriss eines Hauses bestimmt das Leben und die Beziehungen seiner Bewohner. Die luftigen offenen Grundrisse bieten Platz für Gemeinschaft. Was oft fehlt, ist genügend Raum für den Rückzug. Das haben viele Familien schmerzhaft in Zeiten von Corona erfahren. Denn Homeoffice und Spielen in einem Raum schafft zwangsläufig Konflikte. Die Psychologen sagen, Privatheit ist eines der wichtigsten Merkmale, damit man sich zu Hause fühlt.

Eine alternative Reaktion auf eine unpassende Wohnumgebung kann laut Architekturpsychologie aber auch eine „resignative Wohnzufriedenheit“ sein. Wenn wir merken, dass wir unsere Ansprüche nicht realisieren können, senken wir unser Anspruchsniveau. Wir „freunden uns an“: mit unserer Stadt, unserem Haus, unserer Wohnung. Wir ändern unseren Blickwinkel und sehen die Vorzüge. Das gilt insbesondere, wenn wir mit großem finanziellen Aufwand unser „Traumhaus“ gebaut haben – in dem wir uns nicht richtig wohlfühlen. Ist die Dissonanz jedoch zu groß, kann das zu psychosomatischen Beschwerden führen.

Wie aber schaffen wir nun Räume, die uns schützen, uns Kraft geben, die eine für uns persönlich wohltuende Atmosphäre haben- kurz: die uns das Zuhause-Gefühl geben?

Der österreichische Architekturpsychologe Herbert Reichl benennt unter anderem folgende Punkte, die zu Geborgenheit in den eigenen 4 Wänden beitragen:

  1. Lärmschutz: Das gilt für Lärm der von außen kommt, also die Bundesstraße oder Autobahn vor der Haustür. Aber auch für Lärm im Haus, durch Getrappel auf dem schlecht gedämmten Parkettboden in der oberen Wohnung, die Klospülung neben dem Schlafzimmer. Oder sogar der Lärm in der Wohnung, z.B. durch den eigenen ständig laufenden Fernseher in der Wohnung mit offenem Grundriss.
  2. Warme Farben: „Lichtdurchflutete“ Räume mit weißen Wänden sind modern, aber wirken kalt. Besser sind Räume mit vielen kleineren warmen Lichtquellen, eine in einem warmen Farbton gestrichene Wand oder Gestaltungselemente aus Holz oder Geflecht.
  3. Keine Monotonie: Glatte große Flächen sind etwas für Asketen. Die meisten Menschen empfinden Unterbrechungen (durch Treppen, ein Podest oder Erker) als behaglich.
  4. Harmonische Raumformen: Quadratisch, praktisch, gut. Das gilt vielleicht für Schokolade, aber nicht für ein gutes Wohngefühl. Genormte 90 Grad-Ecken wirken kälter als stumpfe Winkel.
  5. Schutz vor Einblicken: Wie schon beschrieben – raumhohe Fenster sind zwar schick, aber bitte nur dort, wo keiner reinschauen kann. Und selbst dort entsteht subjektiv das Gefühl, fremden Blicken ausgesetzt zu sein.
  6. Grün vor dem Fenster: Grünflächen vor dem Fenster wirken stresslindernd. Vielleicht hat nicht jeder einen Garten oder Park vor dem Haus. Aber auch Fassaden, Dächer und Balkone können begrünt werden.

Führen Sie doch einmal eine „Anamnese“, eine Bestandsaufnahme durch: Wo fühle ich mich wohl, wo nicht? Welche Wohnung von Freunden gefällt mir, welche nicht? Gehen Sie ins Detail. Welche Deckenhöhe empfinden Sie als angenehm? Welche Farben? Welche Raumgröße? Welches Licht? Welche Art von Fenstern und Ausblick? Welche Art von Möbeln? Welche Materialien? Und dann gehen Sie einmal durch Ihre eigene Wohnung, als würden Sie sie das erste Mal betreten… Viel Spaß dabei!